- Pazifismus und Friedensbewegung: Ein Überblick
- Pazifismus und Friedensbewegung: Ein ÜberblickDer von Émile Arnaud geprägte und seit 1901 allgemein verwendete Begriff Pazifismus entstand aus zwei Gründen. Zum einen sah sich die internationale Friedensbewegung zu einer modernen Selbstbezeichnung für ihre Motivation und für ihre Forderungen gedrängt. Zum anderen äußerte sich hier der Versuch der Friedensbewegung, den vom Sozialismus entwickelten Erklärungen für imperialistische Kriege eine eigene Theorie gegenüberzustellen, wobei es galt, auch sozial- darwinistische Begründungen für das Phänomen Krieg zurückzuweisen. Den um die Jahrhundertwende erreichten Diskussionsstand spiegelt die von Alfred Hermann Fried vertretene Überzeugung wider: Indem er sich auf den Evolutionsgedanken berief und den Wettstreit als ein Grundprinzip zivilisatorischen Fortschritts anerkannte, sagte Fried voraus, die zunehmende »Organisierung« der Welt, das heißt die wachsende internationale Kommunikationsdichte, werde den Krieg absterben lassen. Fried sprach dabei vom »organisatorischen« Pazifismus. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte der Engländer Norman Lane Angell in seinem Buch »Die große Täuschung« (»The great illusion«, 1910): Die weltweit zunehmende ökonomische Verflechtung mache künftige Kriege ökonomisch sinnlos und immer weniger wahrscheinlich. Abgesehen von solchem Verständnis diente das Wort Pazifismus von nun an als Bezeichnung für die Gesamtheit individueller und kollektiver Bestrebungen, die eine Politik friedlicher, gewaltfreier zwischenstaatlicher Konfliktaustragung propagieren und auf den Zustand einer friedlich organisierten, auf Recht gegründeten und durch immer dichtere Kommunikation gefestigten Völker- und Staatengemeinschaft abzielen. Der Begriff schloss den unbedingten Pazifismus der historischen Friedenskirchen ebenso ein wie einen an der Friedensphilosophie Immanuel Kants (»Zum ewigen Frieden«, 1795) orientierten Pazifismus, desgleichen den nationale Verteidigungskriege legitimierenden demokratischen Pazifismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, den Kriege zur Herstellung der Handelsfreiheit bejahenden Freihandelspazifismus britischer Herkunft und den auf die Ausgestaltung des Völkerrechtes gerichteten Pazifismus. In der Folgezeit wurde dieser Begriffsinhalt reduziert, indem sich, von angloamerikanischem Verständnis beeinflusst, ein Sprachgebrauch herausbildete, der den Begriff Pazifismus der Bezeichnung entschiedener Formen pazifistischer Praxis und ihren Begründungen, besonders der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, vorbehält oder zwischen »radikalem« und »gemäßigtem« Pazifismus unterscheidet.Entstehung und Ausbreitung der FriedensbewegungAls eine politische Grundhaltung gegenüber dem Krieg mit der Tendenz ihrer Organisierung als Bewegung gehört der Pazifismus der europäisch-nordatlantischen Sphäre und deren Geschichte seit der Französischen Revolution an. Die Ursprünge des Pazifismus reichen jedoch bis in die Anfänge des Christentums zurück. Auch wenn die anderen großen Weltreligionen pazifistische Elemente enthalten und die griechisch-römische Antike den Frieden als Ideal beschwor, kann sich der moderne Pazifismus besonders auf das Christentum berufen.Die Friedensbewegung nahm ihren Anfang in den Vereinigten Staaten von Amerika, in denen die ersten Friedensgesellschaften 1814 in Massachusetts und 1815 in New York entstanden waren. Die Wiege der europäischen Friedensbewegung steht in England. Hier wurde bereits 1816 in London eine Friedensgesellschaft ins Leben gerufen. Es folgten Gründungen in Paris 1821 und in Genf 1830. Ihre Argumente gegen die ökonomische Sinnlosigkeit und gegen die ethische Fragwürdigkeit des Krieges entsprangen einer Motivation christlicher Prägung, deren Wirkung auf Nordamerika und Großbritannien beschränkt blieb, und einer sich auf Vernunftgründe berufenden Position aufgeklärter Herkunft. Aus beiden erwuchsen Impulse zu organisiertem Auftreten, nachdem die bürgerliche Gesellschaft infolge der Französischen Revolution einen emanzipatorischen Schub empfangen hatte und der Krieg im napoleonischen Zeitalter zu einem europäisch-transatlantischen Massenerlebnis geworden war. Andererseits begründete die Französische Revolution eine entgegengesetzte Entwicklung: Die zur politischen Gestaltung drängende bürgerliche Gesellschaft verlieh dem Krieg neue Legitimationen. Mit der Entwicklung nationaler Gesellschaften zu Nationalstaaten wurden Kriege möglich, die sich durch die Mobilisierung der gesamten Nation, den Willen zur völligen Vernichtung des Gegners und die Entgrenzung des Kriegsgeschehens von allen vorausgegangenen Kriegen unterschieden und ein bisher kaum denkbares Ausmaß an Opfern forderten.In solcher Perspektive eröffnete sich das Betätigungsfeld der Friedensbewegungen bis zum Ersten Weltkrieg. Es entstand aus der Dialektik des aus der Vernunft gewonnenen Friedensbegriffs der bürgerlichen Gesellschaft und aus der in der ökonomischen und politischen Dynamik dieser Gesellschaft angelegten Disposition zum nationalen Krieg. Damit ist die Dimension der Aufgabe für die zuallererst bürgerliche Friedensbewegung umrissen. Die Geschichte der Friedensbewegung ist indes zugleich die Geschichte ihrer Dilemmas, denn die Kraft des Nationalismus innerhalb der jeweiligen nationalen bürgerlichen Gesellschaft wurde so stark, dass kaum eine der nationalen Friedensbewegungen sich ihr zu entziehen vermochte. Deshalb stehen die Friedensbewegungen Europas in den etablierten Nationalstaaten Großbritannien und Frankreich am Anfang der Entwicklung, und deshalb wird die Organisierung pazifistischer Bestrebungen in den jungen Nationalstaaten erst am Ende des 19. Jahrhunderts und in weit schwächerer Form möglich — in Italien 1887, in Deutschland 1892.Mit den Wechselbeziehungen zwischen Pazifismus und Nationalismus im 19. Jahrhundert entstanden verhängnisvolle Abhängigkeiten der Friedensbewegung. Ihre Anfänge sind nicht nur gekennzeichnet vom Räsonieren liberaler und demokratischer Friedensfreunde gegen den Krieg in der Gestalt des Kabinettskrieges und des Hegemonialkrieges. Pazifistisches Räsonnement sprach sich auch für den Krieg aus, sofern es sich um den »legitimen« Krieg handelte. Denn in der Frühzeit des organisierten Pazifismus und darüber hinaus gab es sowohl Zustimmung zu revolutionären Kriegen, die darauf zielten, tyrannische Herrschaft abzuschütteln, als auch zu Kriegen, die bezweckten, solche Völker zu befreien, die einer Fremdherrschaft unterworfen waren. Daraus ergab sich die Zustimmung nationaler Friedensbewegungen für nationale Verteidigungskriege. Immer war zugleich an einen europäischen Gegenentwurf zu einer restaurativen Ordnung Europas gedacht. Häufig war von der »Heiligen Allianz« der europäischen Völker die Rede, die gegenüber der »Heiligen Allianz« der Monarchen errichtet werden müsse. Der Interventionsbereitschaft der konservativen Monarchien wurde die Möglichkeit revolutionärer Intervention entgegengesetzt, und dies geschah im Namen der Völkerfreiheit und des Völkerfriedens: Völkerfreiheit und Völkerfrieden bedingten einander in solcher Sicht.Doch wurde auch Widerspruch zu solchem Denken laut: Innerhalb der angloamerikanischen Friedensbewegung existierte eine Strömung, der »absolutistische« Pazifismus, die die Anwendung jedweder Gewalt ablehnte. Aber selbst auf dem Boden angelsächsischen Quäkertums gewachsenes Friedensdenken versagte sich nicht Kompromissen mit mächtigen Zeitströmungen, indem es den zur Sicherung der Handelswege auf den Weltmeeren geführten Krieg für legitim erklärte, da er die Voraussetzungen für den Freihandel herstellte. Es ging um die Anschauung von Nation als einer ethnisch-kulturellen Großgemeinschaft, die, im Stande politischer Unschuld gedacht, zur Unterdrückung anderer Nationen als unfähig galt. Eine solche Auffassung lag einer frühen demokratischen Utopie zugrunde, mit der die pazifistische Utopie übereinstimmte — die einer Föderation freier Völker mit dem Ziel internationaler Befriedung. Die Zauberformel für jenen Idealzustand war die von den »Vereinigten Staaten von Europa«. Erreichbar schien er vielen kontinentaleuropäischen Pazifisten der Frühzeit mithilfe eines »letzten Krieges«. Nach dessen Abschluss würde es möglich sein, internationale Konflikte mit pazifistischen Mitteln zu lösen.Die Internationale Liga für Frieden und FreiheitDie Anstrengungen zur Beschleunigung eines Prozesses, der ein Zeitalter friedlicher Völkerbeziehungen heraufführen sollte, gewannen Gestalt mit der Gründung der »Internationalen Liga für Frieden und Freiheit« in Genf 1867. Ihre Führer gehörten zumeist durch ihre Teilnahme an nationalen Freiheits- und Einheitskämpfen zu einer informellen, von der politischen Reaktion ins Exil getriebenen demokratisch-republikanischen Internationale. Eine ihrer Leitfiguren war Giuseppe Garibaldi, aus dessen Umkreis die späteren Führer der italienischen und ungarischen Friedensbewegung Ernesto Teodoro Moneta und István Türr stammten, während die Liga in Deutschland in dem Königsberger Arzt und radikaldemokratischen Politiker Johann Jacoby einen exponierten Parteigänger fand. Weitere Unterstützung erhielt sie in Deutschland vor allem aus der Gründungsgruppe der südlich der Mainlinie beheimateten Deutschen Volkspartei.Mit der Genfer Gründung begann sich der radikale Flügel der Friedensbewegung zu organisieren, was als Ausdruck einer demokratischen Welle, die der Erschöpfungs- und Ernüchterungsphase nach dem Scheitern des revolutionären Aufbruchs von 1848/49 folgte, verstanden werden kann. Die organisatorische Leistung der sich unter britischem Einfluss internationalisierenden gemäßigten Friedensbewegung hatte bisher darin bestanden, Friedenskongresse — in Brüssel 1848, in Paris 1849, in Frankfurt am Main 1850 — abzuhalten. Durch das Auftreten Richard Cobdens und Frédéric Bastiats — beide Vertreter des wirtschaftspolitischen Liberalismus — wurden verbindende Elemente zwischen der Friedensbewegung und dem Freihandel offensichtlich. Die Forderungen des Kongresses — schiedsgerichtliche Verfahren zur Regelung zwischenstaatlicher Konflikte, Einrichtung eines Staatenkongresses, die Kodifizierung des Völkerrechts, Abrüstung — richteten sich besonders an die Regierungen. Ihr appellativer Charakter und ihr Optimismus waren Merkmale einer Friedenspropaganda, die auf die Kraft vernünftiger Einsicht vertraute.Das Echo auf die Anstöße des Friedenskongresses in der Frankfurter Paulskirche 1850 war in Deutschland bescheiden und wurde nur in Königsberg gehört. In der dort gegründeten Friedensgesellschaft prägte pazifistischer Nonkonformismus stärker als auf dem Frankfurter Kongress die Diskussion. Die Gründung erregte den Argwohn der preußischen Behörden, sodass sie Anfang 1851 dem Verbot zum Opfer fiel. Das Scheitern der Königsberger »Friedensfreunde« war bezeichnend für die geringen Chancen, die sich in Deutschland eröffneten, pazifistische Ideen im liberalen Bürgertum zu verankern. Sie nahmen weiter ab, als weite Teile des deutschen Bürgertums sich mit dem von Otto von Bismarck eingeschlagenen machtstaatlichen Weg zur nationalstaatlichen Einheit abfanden. Einsame Warner blieben die politisch agierenden Ärzte Johann Jacoby und Rudolf Virchow.An dem neuen Aufschwung internationaler pazifistischer Organisationsversuche in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts waren Deutsche nur vereinzelt beteiligt. Initiativen gingen jetzt oft von Franzosen aus. Édmond Potonié-Pierre rief 1863 die Ligue du bien public (»Liga für das öffentliche Wohl«) ins Leben, die die Beseitigung aller Beschränkungen der persönlichen Freiheit, aller Monopole und Handelshindernisse betrieb und der sich Freihändler wie Cobden und Republikaner wie Garibaldi und Victor Hugo anschlossen. Die Luxemburgkrise von 1867 führte zur Gründung der Ligue internationale et permanente de la Paix (»Internationale und ständige Liga des Friedens«) unter Leitung Frédéric Passys.Neue Versuche zu pazifistischer Organisierung in Deutschland kamen durch den Engländer Hodgson Pratt 1884 zustande. Obwohl er zunächst in Stuttgart erfolgreich schien, gelangten seine Bemühungen nicht über die Anfänge hinaus.Organisierter Pazifismus im Zeitalter des ImperialismusDie Aufwärtsentwicklung der Friedensbewegung seit Mitte der Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts spiegelte eine Situation wider, die durch wachsende internationale Spannungen und Hochrüstung gekennzeichnet war. Außer in den USA und in Großbritannien bestanden vor der Wende zum 20. Jahrhundert Friedensgesellschaften in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, in den Niederlanden, in Dänemark, Schweden und Italien. Zum Typus der religiös-philanthropischen Friedensgesellschaften, prägend für die amerikanischen und britischen Anfänge, und zum Typus pazifistisch orientierter Klubs zur Förderung des Freihandels traten seit Ende der Sechzigerjahre Friedensvereinigungen, die Friedensvermittlung durch Schiedsgerichtsbarkeit propagierten: in Frankreich die Société Française de la Paix par le Droit (»Französische Gesellschaft für rechtliche Friedenssicherung«, 1887), in Großbritannien die 1876 von William Randal Cremer errichtete International Arbitration League (»Internationale Liga für Konfliktschlichtung«) und die 1880 von Pratt gebildete International Arbitration and Peace Association (»Internationale Vereinigung für Konfliktschlichtung und Frieden«), in den USA die 1882 gegründete National Arbitration League (»Nationale Liga für Konfliktschlichtung«).Ähnliche Friedensorganisationen entstanden in den Niederlanden 1871, in Schweden 1883 und in Belgien 1889. Der neue Typus fand günstige Aufnahme auch in den kleineren Staaten — Ausdruck der Überzeugung, angesichts wachsender Spannungen zwischen den Großmächten bedürfe es völkerrechtlicher Sicherungen zum Schutze der Neutralität.Die WeltfriedenskongresseDas Schwergewicht des gemäßigten Pazifismus hatte sich in den angloamerikanischen Bereich zurückverlagert, und dem Frankfurter Friedenskongress von 1850 folgten außer den Kongressen von London 1851, Manchester 1852 und Edinburgh 1853 zunächst keine weiteren. Erst Ende der Achtzigerjahre fanden die internationalen pazifistischen Aktivitäten wieder ihr Forum und zwar auf den jährlichen Weltfriedenskongressen, deren erster gleichzeitig mit dem ersten Kongress der soeben gegründeten Vereinigung »Interparlamentarische Union« 1889 in Paris stattfand: Zahlreiche Abgeordnete, die dieser Vereinigung angehörten, engagierten sich auch für pazifistische Ziele. Für alle Friedensorganisationen wurde 1892 das »Internationale Friedensbüro« in Bern als Koordinierungsstelle eingerichtet. Ende 1891 fanden sich linksliberale Reichstagsabgeordnete zur Gründung eines parlamentarischen Komitees für Frieden und Schiedsgerichtsbarkeit bereit. Der Plan, diese Gruppe durch eine Friedensgesellschaft in Berlin zu ergänzen, zerschlug sich, da offenbar kein Interesse dafür bestand.Eine erneute Initiative ging von Bertha von Suttner aus, deren 1889 veröffentlichter Antikriegsroman »Die Waffen nieder!« sich als Publikumserfolg erwiesen hatte. Bertha von Suttner hatte 1891 ihre Bekanntheit zur Gründung einer österreichischen Friedensgesellschaft genutzt. Als eine deutsche Anschlussgründung trat die »Deutsche Friedensgesellschaft« 1892 in Berlin ins Leben, unterstützt von der Baronin von Suttner und ihrem Mitarbeiter Fried. Auch dieser zunächst hoffnungsvolle Aufbruch versandete, auch deshalb, weil sich die Bindung der »Deutschen Friedensgesellschaft« an die Deutsch-Freisinnige Partei als hemmend erwies, als die Partei wegen der Militärpolitik des Reichskanzlers Leo Graf von Caprivi auseinander brach. Als Folge der ungünstigen Berliner Bedingungen verlagerte sich der Schwerpunkt der friedensorganisatorischen Tätigkeit in den Südwesten des Reiches. In Württemberg, wo die »Deutsche Friedensgesellschaft« bessere Fortschritte verzeichnen konnte, wuchs sie — parallel zum Aufstieg der Deutschen Volkspartei — zur stärksten Landespartei heran.Neben dem Weltfriedenskongress von Hamburg 1897 brachten das Friedensmanifest von Zar Nikolaus II. von 1898 und die dadurch veranlasste Erste Haager Friedenskonferenz von 1899 dem organisierten Pazifismus auch in Deutschland Beachtung ein. Dort warb die Friedensbewegung, für die in München der Historiker Ludwig Quidde als Wortführer hervortrat, mit Kundgebungen für eine konstruktive Teilnahme des Deutschen Reiches an der Haager Konferenz und für deutsche Zustimmung zu internationalen Schiedsgerichtsverfahren und Abrüstung. In der Debatte um die deutsche Teilnahme an der Konferenz beteiligte sich auch der radikale Flügel der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung.Die Aufmerksamkeit, die die deutsche Friedensbewegung gegen Ende des Jahrhunderts dadurch fand, dass die von ihr propagierten Friedensinstrumente in einer öffentlichen Diskussion gewürdigt wurden, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der organisierte Pazifismus in Deutschland an seine Grenzen stieß. Der Drang zu imperialistischer Politik konnte durch die Friedensbewegung nicht gebremst werden. Bestimmt von seinem eurozentrischen Weltbild und an patriotische Rücksichten gebunden, nahm der Pazifismus nicht grundsätzlich Anstoß am kolonialen Expansionismus der Großmächte, sondern folgte der Gewissheit, koloniale Betätigung sei durch eine kulturmissionarische Aufgabe legitimiert.Der Aufgabe, dem Pazifismus in der deutschen Öffentlichkeit dennoch Geltung zu verschaffen, widmete sich seit der Jahrhundertwende besonders Ludwig Quidde. Seine Erfolge auf dem Feld internationaler Beziehungen, sein organisatorisches Talent und seine Bekanntheit als Politiker der Deutschen Volkspartei ließen ihn im Mai 1914 schließlich an die Spitze der Deutschen Friedensgesellschaft gelangen. Allerdings fußte dieser Werdegang auch auf dem Mangel an kompetenten Persönlichkeiten, die bereit waren, berufliche und gesellschaftliche Risiken auf sich zu nehmen, wie sie Sprechern der Friedensbewegung in Deutschland drohten. Dass sich die Friedensbewegung im Wilhelminischen Kaiserreich bemühte, keine Zweifel an ihrer patriotischen Zuverlässigkeit aufkommen zu lassen, änderte nichts an ihrer Rolle als politische Randerscheinung. Dabei konnten von der Friedensbewegung für die politischen und sozialen Strukturen des Reiches keine Gefahren ausgehen, solange in Deutschland eine Verbindung zwischen bürgerlichem Pazifismus und sozialdemokratischem Antimilitarismus als undenkbar galt. Nachdem die politische Rechte die deutsche Friedensbewegung lange ignoriert hatte, ging sie zu einer Strategie frontaler Angriffe über, als sich im Zuge der Wandlungsprozesse innerhalb der SPD wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg eine Annäherung zwischen Sozialdemokratie und Friedensbewegung ankündigte. Endlich erschien es möglich, dass die Friedensbewegung eine Massenbasis gewinnen könne.Auch zeichneten sich neue Tendenzen in der pazifistischen Werbung ab. Gegenüber dem konfliktbedrohten internationalen System sah die Friedensbewegung ihre Aufgabe zunehmend darin, alle Anstrengungen für die Verständigung der Völker zu unterstützen. Das bedeutete den Verzicht auf eine Führungsrolle, um die Breitenwirkung völkerversöhnender Arbeit nicht durch das Wecken antipazifistischer Vorurteile zu gefährden. Jetzt traten Verständigungsorganisationen in Frankreich, in den USA und in Deutschland hervor, ergänzt durch bilaterale kirchliche und interparlamentarische Konferenzen, so die deutsch-britische Verständigungskonferenz 1912 in London und die deutsch-französischen Parlamentariertreffen in der Schweiz 1913 und 1914.Unabhängig davon hatte es immer einen religiös begründeten unbedingten Pazifismus gegeben, der sich in der Verweigerung jedweden Kriegsdienstes äußerte. Als eine auf individueller Einsicht und Entscheidung beruhende Haltung entstand der Pazifismus des Schriftstellers Lew Nikolajewitsch Tolstoi: ein als universale Liebesphilosophie im Geiste der Bergpredigt begründeter Pazifismus, der den Verzicht auf Eigentum und auf staatliche Gewalt ebenso forderte wie das Recht auf gewaltlosen Widerstand gegenüber dem Staat. Nur Mohandas Karamchand Gandhi, der den Einfluss Tolstois auf seine eigene Lehre und Praxis des »zivilen Ungehorsams« anerkannte, erzielte im 20. Jahrhundert eine ähnlich breite Wirkung für unbedingte pazifistische Verweigerung. Unbeeinflusst von beiden trat Kriegsdienstverweigerung im Ersten Weltkrieg erstmals als Massenphänomen auf, vor allem in Großbritannien, wo sich Verweigerer in der No Conscription Fellowship (»Vereinigung gegen Wehrpflicht«) organisierten.Pazifismus im Ersten WeltkriegIm Sommer 1914 brach die pazifistische Utopie zusammen, der Weltkrieg werde sich durch die Einsicht der Verantwortlichen in seine verheerenden Folgen verhindern lassen. Auch in der »Deutschen Friedensgesellschaft« hatten solche Illusionen noch bis kurz vor Kriegsbeginn Bestand. Im Sinne ihres patriotischen Pazifismus folgten manche deutsche Pazifisten zunächst der offiziellen Sprachregelung, das Deutsche Reich führe einen Verteidigungskrieg. Die Pazifisten standen unter dem Eindruck, Zeugen einer Kulturkatastrophe zu sein, die Ansätze einer internationalen Verständigung und Zusammenarbeit auf lange Zeit zerstöre. Gegenüber deutschem Hurrapatriotismus pazifistisch begründete Kritik an der politisch-militärischen Leitung des Reiches zu üben, wurde riskant. Ähnlich wie der französische Schriftsteller Romain Rolland, der während des Krieges nicht in Frankreich blieb, gingen einige pazifistische deutsche Intellektuelle ins Schweizer Exil. Pazifistische Tätigkeit war in Deutschland unter den Bedingungen des Krieges und des alsbald von der Regierung verhängten Belagerungszustandes weit mehr erschwert als in der Vorkriegszeit. Doch bot der Krieg der deutschen Friedensbewegung die Möglichkeit zu beweisen, dass der Patriotismus der Pazifisten nicht weniger verlässlich war als der ihrer Gegner.Pazifismus und BelagerungszustandDie Behinderungen durch den Belagerungszustand engten den Spielraum für pazifistische Betätigung in Deutschland außerordentlich ein. Es erwies sich überdies als unmöglich, während des Krieges die Kluft zu schließen, die die pazifistische Internationale seit Kriegsbeginn spaltete. Die Erfahrungen des Krieges ließen pazifistische Organisationen neuen Stils und mit neuer Programmatik entstehen, in denen sich die Unzufriedenheit radikaler pazifistischer Kräfte mit dem unzulänglich erscheinenden Vorkriegspazifismus äußerte. In den neuen Organisationen — in den Krieg führenden wie in den neutralen Staaten — drückte sich die Abkehr von der Nichteinmischungshaltung des älteren Pazifismus dadurch aus, dass nun nach der Abhängigkeit der Außenpolitik von ihren innenpolitischen Bedingungen gefragt wurde. Bei der deutschen Gründung »Bund Neues Vaterland« führte die pazifistische Wende zur Forderung nach einer Politik innerer Reformen im Deutschen Reich. Auf einer breiten politischen Basis sammelten sich Exponenten des neuen und des älteren Pazifismus, Vertreterinnen der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung, Sozialdemokraten und Sozialisten sowie kritische Konservative. Der Bund wies Ähnlichkeiten mit der britischen Union of Democratic Control (»Union für demokratische Kontrolle«) auf, die radikale Liberale mit Vertretern der Independent Labour Party (»Unabhängige Labour Party«) vereinte. Sie verband der Kampf für eine neue Außenpolitik ohne Geheimdiplomatie. Entschiedener Pazifismus organisierte sich in den Niederlanden im Nederlandse Anti-Oorlog-Raad (»Niederländischer Antikriegsrat«), in den USA in der League to Enforce Peace (»Liga zur Durchsetzung des Friedens«). Bei der französischen Ligue des Droits de l'Homme et du Citoyen (»Liga für Menschen- und Bürgerrechte«) war bereits aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte die Forderung nach Durchlässigkeit zwischen innerer und äußerer Politik von Anfang an Teil des Programms. Der neue Pazifismus lieferte eine verlässlichere Basis für internationale Kontakte als die traditionelle Friedensbewegung. Dies bewiesen die beiden internationalen Pazifistenkongresse in Den Haag im April 1915. Der eine, vom Nederlandse Anti-Oorlog-Raad organisiert, führte zur Einrichtung der Zentralorganisation für einen dauernden Frieden mit der Aufgabe, Vorschläge für einen Friedensschluss in der Gestalt eines Minimalprogramms für einen dauernden Frieden auszuarbeiten. Der andere war ein Kongress von Kriegsgegnerinnen aus der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung. Sein wichtigstes Ergebnis bestand in der Gründung des »Internationalen Frauenausschusses für dauernden Frieden«, aus dem die »Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit« hervorging.Während die Diskussion über die deutschen Kriegsziele seit Mitte 1915 Bedeutung für die deutsche Innenpolitik erlangte, wurden gegen deutsche Annexionen gerichtete pazifistische Gegenentwürfe von den militärischen Behörden durch Repressionen behindert. Die Unterdrückungspraxis, die im Verbot jeglicher Tätigkeit des Bundes Anfang 1916 gipfelte, vermochte pazifistische Aktivitäten indes nie gänzlich lahm zu legen und förderte die Radikalisierung der deutschen Friedensbewegung.Angesichts der großen Ereignisse ab Anfang 1917 erwarteten die deutschen Pazifisten, dass in der Nachkriegszeit Chancen bestünden, ihre Ideen zu verwirklichen. Dazu war eine Revision der pazifistischen Programmatik notwendig. Totale Abrüstung oder Kontrolle der Rüstungsindustrie, die Einrichtung eines Weltparlaments, die Bereitstellung von Sanktionsinstrumenten gegen künftige Friedensbrecher und zur Erzwingung des Friedens — das waren Überlegungen, die deutsche Pazifisten und ihre Gesinnungsgenossen in anderen Ländern anstellten. Für die Friedensbewegung in Deutschland trat als Problem die Frage der deutschen Kriegsschuld hinzu.Mit den Vierzehn Punkten des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson nahmen Forderungen des internationalen Pazifismus die Form eines regierungsoffiziellen Programms an. Von dessen Umsetzung erhoffte sich die deutsche Friedensbewegung auch in Deutschland neue Chancen. Eine Voraussetzung hierfür erblickte sie in der Errichtung einer neuen politischen Ordnung im Zeichen der Demokratie. Nach der Novemberrevolution stellte sie sich deshalb sofort auf den Boden der neuen politischen Tatsachen.Die ZwischenkriegsperiodeIndes waren die neuen Bedingungen des Pazifismus komplizierter als erwartet. Im Verständnis großer Teile der deutschen Öffentlichkeit galt die deutsche Friedensbewegung nun als Sprachrohr des amerikanischen Präsidenten, und in diesem Licht erschien sie in der Übergangsphase zwischen Waffenstillstand und Friedensschluss als Garantin für die Erfüllung illusionärer Erwartungen des deutschen Volkes.Obwohl sich radikale deutsche Pazifisten von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands angezogen fühlten, verband die deutsche Friedensbewegung in ihrer Mehrheit ihr Schicksal von Anfang an mit dem der Parteien der Weimarer Koalition. Nachdem die Chancen der Novemberrevolution für eine unzweideutige Wende ungenutzt geblieben waren, wurde die deutsche Friedensbewegung zu einer Mahne- rin der Parteien der Weimarer Koalition und wünschte die Republik so auszubauen, dass sie gegen eine von rechts drohende Rückwärtsrevision der Verhältnisse gerüstet wäre.Während des Krieges hatten sich der deutschen Friedensbewegung neue gesellschaftliche Schichten erschlossen, und dies zeigte sich nach dem Krieg in ihrer Mitgliederstruktur. Der Wandlungsprozess beendete die soziale, politische und organisatorische Homogenität der deutschen Friedensbewegung, die in ihrer Basis ihre Mittelschichtenorientierung zugunsten eines eher kleinbürgerlichen Sozialprofils einbüßte, während in den Leitungspositionen zunächst noch der aus dem Bürgertum stammende Personenkreis dominierte. Die Stellung der bisherigen Führungskräfte geriet ins Wanken, da ihre linksliberalen pazifistischen Positionen an der Basis nicht länger mehrheitsfähig waren. Im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen radikalisierte sich die Weimarer Friedensbewegung. Zwischen dieser nach links gerückten Friedensbewegung und den unter Sachzwängen handelnden Parteien der Weimarer Koalition waren Konflikte unvermeidlich. Solche Faktoren begünstigten die Herausbildung eines Pluralismus, der in der Entstehung zahlreicher Verbände der Friedensbewegung seinen Ausdruck fand, dazu gehörten zum Beispiel der deutsche Zweig des Verbandes »Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit«, die »Deutsche Liga für Menschenrechte«, die aus dem »Bund Neues Vaterland« hervorging und in der französischen Ligue pour la Défense des Droits de l'Homme et du Citoyen (»Liga zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte«) ihr Vorbild sah, und die »Deutsche Liga für Völkerbund«, die für den Eintritt und für eine konstruktive Politik Deutschlands im Völkerbund warb. Jetzt gab es ein Spektrum von mehr als zwanzig kleinen und größeren, gemäßigten und radikalen Friedensorganisationen, die sich 1921/22 zum »Deutschen Friedenskartell« zusammenschlossen.Als sich zeigte, dass mit den Friedensschlüssen von Versailles und Saint-Germain-en-Laye keineswegs Wilsons Programm uneingeschränkt umgesetzt wurde, fiel die deutsche Friedensbewegung erneut gesellschaftlicher Verachtung anheim. Die veränderte Situation äußerte sich seit 1919/20 in gegen bekannte Pazifisten gerichteten Attentaten aus den Kreisen der radikalen Rechten.Die deutsche Friedensbewegung verteidigte den neuen Staat am entschiedensten in der Vereinigung »Deutsche Liga für Menschenrechte«. Diese entsprach den ideologischen Innovationen der Friedensbewegung besonders, indem sie pazifistische und demokratische Zielsetzungen mit der Verteidigung der Menschenrechte verband und am deutlichsten die Westorientierung der Weimarer Friedensbewegung vertrat. Der Friedensbewegung von Weimar ging es um eine grundsätzliche Neuorientierung der deutschen Politik. Die deutsche Außenpolitik sollte dem Ziel des friedlichen Interessenausgleichs durch eine Politik der Völkerverständigung dienen. Nach innen sollte eine solche Politik durch eine Stärkung der republikanischen Institutionen gesichert werden. Folgerichtig war auch die Bekämpfung der Selbstabschottung der Reichswehr. Die Überzeugung, dass eine monarchische, autoritäre Restauration der Republik noch immer drohe, führte 1926 zu einer Beteiligung an der Kampagne für entschädigungslose Enteignung der deutschen Fürsten. Ungeachtet pazifistischer Vorbehalte gegenüber der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Versailles trat die deutsche Friedensbewegung für eine gewissenhafte Erfüllung der Vertragsbestimmungen ein. Pazifistische Kritik wandte sich besonders gegen Bestrebungen der Reichswehr, ihre von dem Vertrag erzwungene Struktur mittels des Aufbaus geheimer Verbände so zu verändern, dass sie eines Tages in ein Massenheer hätte verwandelt werden können. Indem die deutschen Pazifisten Verletzungen des Versailler Vertrages durch die Reichswehr aufdeckten, setzten sie sich strafrechtlicher Verfolgung wegen Landesverrats aus. So wurde Carl von Ossietzky wegen des Artikels eines Mitarbeiters, der die Zusammenarbeit der Reichswehr mit der Roten Armee auf dem Gebiet der Militärluftfahrt in der Zeitschrift »Die Weltbühne« enthüllt hatte, zu Gefängnishaft verurteilt. Die Friedensbewegung von Weimar stellte sich 1925 der Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten entgegen. Sie wandte sich 1928 gegen den von den Bestimmungen des Versailler Vertrages gedeckten Bau kleiner deutscher Panzerkreuzer, da sie darin die Gefahr einer neuen maritimen Aggressivität Deutschlands sah.Die Radikalisierung der FriedensbewegungDie Entwicklung der Weimarer Republik nach rechts verstärkte die Tendenz zur Gegensteuerung und Radikalisierung, die in der unter der Führung von Paul Freiherr von Schönaich und Fritz Küster stehenden »Deutschen Friedensgesellschaft« zur Abstoßung ihrer gemäßigten Elemente um Quidde führte. Die Radikalisierung fand ihre Zuspitzung 1926/27 in der Nachahmung der mit dem Namen Arthur Ponsonby verbundenen Aktion der britischen Pazifisten, mittels einer Unterschriftensammlung die Verweigerung der Bevölkerung im Kriegsfall festzustellen.Der Zerfall der deutschen Friedensbewegung und anschließende Versuche ihrer Reorganisierung fielen mit dem Ende der Weimarer Republik zusammen. Als der Nationalsozialismus an die Macht gelangte, wurde mit dem politischen Wertesystem von Weimar auch die deutsche Friedensbewegung zerschlagen, deren Kritik am Weimarer Staat verfassungsloyal gewesen, aber ebenso wirkungslos geblieben war wie ihre Warnung vor dem Nationalsozialismus.Radikalisierende Entwicklungen des Pazifismus vollzogen sich auch in Frankreich und Großbritannien. Ihr wesentlicher Unterschied zur deutschen Friedensbewegung bestand in der Ignorierung der von den Rechtsdiktaturen für den Weltfrieden ausgehenden Gefahren. In Frankreich trat als neue Friedensorganisation die Ligue internationale des Combattants de la Paix (»Internationale Liga der Friedenskämpfer«) hervor, die ihre volle Wirksamkeit in den Dreißigerjahren entfaltete und die französische Appeasementpolitik in radikalpazifistischem Sinn ergänzte, indem sie die von Hitler-Deutschland drohende Gefahr verharmloste, die französische Verteidigungspolitik bekämpfte und — ähnlich der französischen Sektion der »Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit« — gegenüber den Konflikten des Auslandes eine Politik strikter Neutralität propagierte. Diese Linie mündete bei einigen ihrer Vertreter während der deutschen Okkupation Frankreichs in die Kollaboration. In Großbritannien entsprach dieser Entwicklung die zeitweilig Massenanhang gewinnende Peace Pledge Union (»Union zum Gelöbnis des Friedens«) die erst unter dem Eindruck des Fias- kos der britischen Appeasementpolitik an Boden verlor.Im Gegensatz dazu sah sich die deutsche Friedensbewegung nach Adolf Hitlers Machtantritt ins Exil vertrieben oder blutiger Verfolgung ausgesetzt. Eine Exilorganisation ins Leben zu rufen, wurde weder versucht, noch wäre ihre Gründung möglich gewesen. Mit der Gründung von Exilgruppen in Paris, Straßburg, Prag und London bildete die »Deutsche Liga für Menschenrechte« eine Ausnahme. Mit der Rettet-Ossietzky-Kampagne gelang ihr eine eindrucksvolle, wenn auch erfolglose organisatorische Leistung.Neue Aufgaben nach dem Zweiten WeltkriegDie Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki sowie die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Ost-West-Konfrontation entwickelte Strategie nuklearer Abschreckung verschafften der Diskussion über Krieg und Frieden eine neue Dimension. Es entstand ein neuer radikaler Pazifismus mit neuen Formen des Massenprotestes. Wesentlich für diesen Pazifismus wurde seine globale Sichtweise. Als Nuklearpazifismus bezieht er seine Argumente aus der faktischen Nichtunterscheidbarkeit zwischen nuklearem Angriffs- oder Präventivkrieg und nuklearem Verteidigungskrieg, aus Skepsis gegenüber der friedenssichernden Wirkung der Abschreckungsstrategie, aus Angst vor nuklearer Selbstzerstörung der Menschheit und — mit christlicher Begründung — aus der Achtung vor der Schöpfung. Im universalen Horizont solcher Begründung gelangt der Nuklearpazifismus zum Widerstand gegen alle Massenvernichtungswaffen und verbindet sich mit dem Widerstand gegen die friedliche, aber riskoanfällige Nutzung der Kernkraft.Prof. Dr. Karl HollBrock, Peter: Freedom from violence. Sectarian nonresistance from the Middle Ages to the Great War. Toronto u. a. 1991.Brock, Peter: Freedom from war. Nonsectarian pacifism 1814-1914. Toronto u. a. 1991.Brock, Peter: Pacifism in the United States. From the colonial era to the First World War. Princeton, N. J., 1968. Nachdruck Princeton, N. J., 1970.Brock, Peter: Twentieth century pacifism. New York 1970.Carsten, Francis L.: War against war. British and German radical movements in the First World War. London 1982.Ceadel, Martin: The origins of war prevention. The British peace movement and international relations, 1730-1854. Oxford 1996.Ceadel, Martin: Pacifism in Britain. 1914-1945. The defining of a faith. 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